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Bertram Kaschek

Kurator

Staatslgalerie

Stephan Rößler

Leiter des Museums

Reutlingen

Mutterform

 

Mit ihrer Arbeit „Mutterform“ gelingt es Marie Zbikowska, die gemeinhin getrennten Sphären von Kunst, Arbeit und Mutterschaft in einem multimedialen Raum so zusammenzuführen, dass jede dieser Sphären zur Metapher der anderen wird. Dies beginnt bereits beim Titel der Arbeit, der eigentlich der Gießerei-Industrie entstammt und eine zum Zweck der Vervielfältigung auszugießende Hohlform bezeichnet. Wenn man jedoch den Akzent stärker auf den ersten oder den zweiten Wortbestandteil – also auf die Mutterform oder auf die Mutterform – legt, setzt der technische Terminus unweigerlich biologische, gesellschaftliche oder künstlerische Assoziationen frei. Dieser Polyvalenz des Begriffs entsprechend, kommt es in Zbikowskas Arbeit auch zu einer gegenseitigen Verzahnung der verwendeten Medien. Das Negativ als Voraussetzung von beliebig oft reproduzierbaren Positivbildern liegt sowohl verschiedenen Gussverfahren als auch der Fotografie zugrunde. Zudem hat Zbikowska die Farbpalette für ihre installative Arbeit reduziert. Nicht nur Fotografien, Filme und plastische Werkteile, sondern auch die Materialien der technischen Infrastruktur – wie Fernseher oder Podeste – sind ganz in Schwarz, Weiß und Grau gehalten. Dies verleiht der Arbeit ein überaus nüchtern-strenges Gepräge.

Die genannten Elemente der Installation sind in der räumlichen Präsentation kontrapunktisch gegeneinandergesetzt. Zu den technoiden Formen der drei Monitore bildet die größte der drei Mutterformen aus Gips, die wie ein riesiger Kokon aussieht, einen starken, organisch anmutenden Gegenpol. Die drei Barytabzüge an der Wand nehmen dies auf und zeigen die Künstlerin in Interaktion mit einer ähnlichen kokonartigen Gipsform, der sie sich wie ein seltsames Insekt zu entwinden versucht, ohne ihr ganz entkommen zu können. Die Filme wiederum führen Handlungen, Dialoge und Gesten vor, die ­– gerade auch in der Form des Loops – als zwanghafte Wiederholungsmechanismen kenntlich werden. Sie alle erzählen von jener unterschwelligen Gewalt, die sich in alltäglichen Routinen und Konventionen endlos zu reproduzieren scheint. Aus dieser Perspektive erscheint dann auch die „Mutterform“ geradezu als Matrix und Inbegriff der ewigen Wiederkehr des geschlechterpolitischen Unglücks in Kunst und Gesellschaft.

All dies wäre unendlich trübselig und aussichtslos, würden nicht die performativen Darbietungen der Künstlerin in den gefilmten Handlungen und souverän gesprochenen Texten einen anarchischen Humor in das scheinbar unabänderliche Zwangsgefüge bringen, der mit lustvoller Ironie und gutem Sinn fürs  Absurde einen Spalt für mögliche Veränderungen öffnet – beginnend mit der Einsicht, dass sich die Sphären von Kunst, Arbeit und Mutterschaft für eine Künstlerin, die zugleich Mutter ist, eben nicht säuberlich trennen lassen.

Bertram Kaschek

Jedes fotografische Bild ist ein gewaltsamer Eingriff. Es reißt einen bestimmten Augenblick aus dem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang und erhebt dennoch den Anspruch auf Ewigkeit. Marie Zbikowskas komplexe Arbeiten stilisieren diesen Verlust zum künstlerischen Ereignis. In ihrer Rauminstallation „Kapsel“  hinterfragt sie das generelle Versprechen von Ewigkeit, indem sie Objekte plastisch als Zeitkapseln formt und diese Abbilder einer Internetsuche von Zeitkapseln gegenüberstellt. Weder die Objekte selbst, noch das „einmal dagewesene“ (Roland Barthes) ihrer Abbildungen, können der eigentlichen Erinnerungsfunktion gerecht werden. Durch die zwei Videoarbeiten wird dieses Bewusstsein noch unterstrichen, da deren Unterschreiten der gewohnten Bildwiederholfrequenz nicht nur an Filme aus der Vergangenheit erinnern, sondern auch auf die Entstehungsform des Bewegtbilds verweisen. Dieses entsteht schließlich nur durch die millisekündliche Überlagerung von vergangenen Bildinhalten. Die Form des Kreises ist ebenso die Verbindung der beiden Videobilder, wie das besondere Moment des Formerischen, welches durch die Energie der Beinbewegungen angedeutet wird. Dieselbe Scharnierfunktion übernimmt auch die am Boden arrangierte Gipsform zwischen den vorgeblendeten Plastiken und deren gehängten Abbildern.

Die Stärke der Arbeiten von Marie Zbikowska ist also nicht nur, dass sie mit ihrer gattungsübergreifenden Auseinandersetzung einen neuen Beitrag in den – durchaus prominent besetzten – künstlerischen Diskurs zu bildinhärenten Eigenschaften und Erinnerungskultur formuliert, sondern sie führt mit ihrer formerischenDenk- und Arbeitsweise auch eine neue Perspektive ein. So wie die dysfunktionalen Tischbeine aus ihrer Arbeit der Serie „Ein Stück“, die aus Beton gegossen sind und ihren Entstehungsprozess offenlegen. Als Objekt an die Wand gelehnt, wirken diese so deplatziert und ihrer Funktion behoben, wie der hinter einer Glaswand im Innenraum inszenierte und konservierte Mineralsteinbrocken, den die Künstlerin als bildwürdig festhält. Bei beiden Formen wurde der eigentliche Inhalt zu Gunsten einer ästhetischen Praxis vernachlässigt und durch einen formerischenProzess ersetzt. Die Inszenierung des Fensters in dieser Fotografie, welches nicht nur die Funktion des Widerspruchs zwischen Innen- und Außenwelt unterstreicht, sondern auch als Lichtquelle die Entstehung dieser Aufnahme überhaupt konstituiert, zeigt das sehr hohe fotografische Können der Künstlerin. Welches sich auch in den Arbeiten zu der Serie „Im Bau“ zeigt, indem sie – gleich dem Wortspiel ihres Titels – Räume genauso wie Prozesse „im Bau“ fotografisch wie theatralisch inszeniert.

Stephan Rößler

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